Alle die Papa kennen wissen ja, dass er trotz Behinderung ein super ehrgeiziger und sportlicher Typ ist. Für alle anderen – Papa hat damals als Kind Polio bekommen und hat nun im rechten Arm und linken Bein keine Muskeln. Inzwischen schrumpfen auch all die übrigen Muskeln. Bedingt dadurch trägt er nun an beiden Beinen Orthesen/Schienen. Aber das hat ihn nie von irgendwas abgehalten. Also auch nicht vom Sport. Er hat früher immer viel Sport mit seinem Handbike gemacht, quasi ein super flacher Rollstuhl mit Rennradreifen und einer Kurbel zum Gas geben. Mit diesem Teil und den Muskeln aus dem linken Arm fuhr er Marathon. 42,195km. Trotz seines Vollzeitjobs als Geschäftsführer und mit uns zwei Teenie Girls fand er genug Zweit dafür. Inzwischen hat er das Postpoliosyndrom und kann leider keinen Sport (Leistungssport) mehr machen. Nachdem es damals zu diversen Rennen innerhalb der Bundesrepublik ging (ich fand die Chance sämtliche Großstädte zu erkunden immer schon super und fuhr so oft es ging mit), fuhr er auch andere Rennen im umliegenden Ausland. Papa’s Lebenstraum war es aber immer den New York Marathon mitzufahren. Ein wirklich sehr anspruchsvolles Rennen, besonders mit dem Handbike. Es geht viel bergauf, besonders an den Brücken.

Im Herbst 2005 war es dann so weit. Ich hatte den ersten Anlauf meiner Ausbildung abgebrochen. Den meisten Warendorfern Ü30 ist Richard Henschen ein Begriff, er war mit Abstand der cholerischste Versicherungsmakler in ganz NRW. Eigentlich war der Urlaub für New York bereits vor dem Ausbildungsbeginn zum 01.08.2005 genehmigt worden, doch dann sollte es spontan nicht klappen. Kurzer Hand und impulsiv wie ich bin, kündigte ich. Schließlich konnte ich mein Ticket für New York doch nicht einfach verfallen lassen. Zumal die Highlights in dem Büro daraus bestanden Papierakten mit einem Buchrücken zusammen zu kleben, oder dabei zuzusehen, wie der Chef irgend eine der Damen wieder zum Heulen brachte. Nicht mein Fall! Kurzerhand legte ich die Kündigung auf den Tisch des Chefs und verabschiedete mich in das Wochenende und den Urlaub. Jung und ungebunden, zudem noch im Elternhaus wohnend, ließ sich sowas super machen.

Also auf nach New York. Bislang kannte ich nur die kurzen Flüge hier innerhalb Europas. Ich glaube der längste war mal in die Türkei… und nun 7,5 Stunden (bei Gegenwind auch 9 Stunden, kommt immer auf den Wind an) nach New York. Ich war echt aufgeregt. Zudem wusste ich ja auch nicht, ob das sprachlich alles klappt, ich mich einfach so zurecht finde (war ja immer mal wieder auch alleine unterwegs) und ob das überhaupt was für mich ist, so eine echte Metropole.

Dank Papa und dem Service, den Behinderte meistens erhalten, klappte das mit dem Flug recht reibungslos. Zwischendurch gab es ein paar Turbulenzen. Ich doch recht in Sorge über das wackelnde Flugzeug, weckte meinen Papa kurz auf. Der aber ganz entspannt und ruhig „Mach dir keine Sorgen, sind nur Luftlöcher. Kannst einfach schlafen, so wie ich.“ Gut, während der Turbulenzen habe ich keine Sekunde geschlafen, denn der ganze Vogel wackelte wie Espenlaub. Dennoch ist es echt beruhigend, wenn man neben jemandem sitzt der die Entspannung in Person ist. Ich glaube inzwischen kann auf meinen Flügen auch alles mögliche passieren und ich schlafe einfach. 🙂 Gute 7,5 Stunden später erreichten wir den JFK. Wahnsinn, so viele Kontrollen hatte ich noch nie gesehen. Was war das für ein Theater überhaut erstmal den Flughafen zu verlassen. Verrückt! Allerdings hing das mit dem 09.11.2001 zusammen. Für den Fall, dass ihr den Ground Zero nachher bei den Sightseeing Aktivitäten vermisst, dort wurde erst 2006 mit dem Bau begonnen. Irgendwie hatte Papa schon vor unserer Reise Kontakt zu einem Läufer geknüpft und mit dem waren wir im selben Hotel. Den ersten Abend ging es zum Abendessen. Nur wir zwei, unerfahren in NY und alle Straßen voller Leute. Das Hotel war irgendwo in Manhatten, südlich vom Central Park. Heisst auch der Times Square war locker fußläufig erreichbar, zu der Zeit auch noch für Papa und ohne Rolli. Wir machten uns also auf den Weg und fanden eine „Self Service Pizzeria“. Bestellt wurde am Selbstbedienungs-Schalter/Kasse und man bekam dann die kleinen Getränke (1 Liter) und sein Stück Pizza nach Wahl ausgehändigt. Es herrschte freie Platzwahl. Kurz vor dem ersten Biss und mit der Fanta in der Hand machte mein Kreislauf schlappt.

Wie sich im Jahr darauf heraus gestellt hatte, ist mein Herzchen nicht immer ganz auf der Höhe. Ich habe das WPW-Syndrom. Heisst neben dem Sinusknoten habe ich einen weiteren Nerven, der Impulse an mein Herz gibt und im schlimmsten Fall bekomme ich dann Herzrasen. So wie in New York wird mir dann schwindelig und schwarz vor den Augen, zudem bekomme ich kalten Schweiss auf der Stirn. Lange Zeit habe ich täglich Betablocker nehmen müssen, damit es gar nicht erst so weit kommt. Inzwischen sind diese „Anfälle“ so selten, dass ich nur im Notfall Tabletten nehmen muss. Besonders eben vor recht leichtsinnigen Aktionen. Da es sich aber oft von alleine reguliert, ein Softdrinks und viel Zucker sind super, vergesse ich die Tabletten ab und zu ganz Zuhause. Bitte keine Panik bekommen, mir geht’s gut 🙂 Wie ihr in anderen Berichten erfahrt, habe ich mit den Tabletten noch jede Menge Blödsinn angestellt. Unkraut vergeht nicht, oder wie war das?

Nach dem Schock vom ersten Abend gingen wir zurück ins Hotel und schliefen erstmal. Jetleg olé. Den hatte ich tatsächlich ordentlich, aber egal. Alles war neu und aufregend, die Stadt wartete. Eben runter zum Frühstück, selbiges war eine Katastrophe. Für ein Schweinemoos gab es nur ein bisschen Toast, Kaffee oder Tee und sonst nix. Die nächsten Tage besorgte ich Frühstück auswärts. Gab da ein nettes kleines Café um’s Eck und ich wurde von der kräftigen farbigen Kellnerin immer mit „Hey honey, how are you?“ begrüßt. Dort gab es diverse Sorten Kaffee, Bagels, Muffins und eben lauter Leckereien, die günstiger waren als das Futter im Hotel.

Gut gestärkt ging das Sightseeing dann auch mal los. Ich kann euch ehrlicherweise nicht mehr sagen in welcher Reihenfolge wir uns alles angeschaut haben, aber es war so ziemlich alles dabei. Der Times Square, Macys, das Moma (Museum of modern Art), das Empire State Building, der Trump Tower (wer konnte 2005 schon ahnen, dass der Idiot mal der Chef da wird), Central Park und eben auch ein bisschen von allem drum herum. China Town haben wir nicht mehr geschafft. Ein bisschen Schwund ist immer. Dafür gab es auf dem Times Square schon damals den naked Cowboy, der mit seiner Gitarre und dem weissen Schlüpper mitten zwischen all den Leuten stand. Herrlich, so ein mäßig gut trainierter Langhaardackel mit Gitarre um. Die Bilder hat Papa überwiegend gemacht, weshalb es von dem Vogel auch keins gibt. 😉

Das mit dem Sightseeing war auch ziemlich das was sich durch die nächsten Tage zog. Laufen, laufen, laufen und so viel angucken, wie eben möglich. Ein bisschen Shopping musste natürlich auch sein. Zudem trainierte Papa ab und zu mit anderen im Central Park und ich spazierte dann alleine durch die Gegend. Am 6. November 2005 war es dann so weit und es ging zum Marathon. Papa kannte ja schon andere die laufen würden und so gönnte ich mir die Freiheit, erst passend im Ziel zu stehen. Mit der U-Bahn durch New York zu düsen, um an mehreren Stellen der Strecke zu stehen, war mir zu riskant. Dafür kannte ich die Stadt zu wenig. Etwas vor Papa’s regulärer Zeit vom 2:20 Std. war ich im Ziel und wartete (gut in top Zeiten war es auch mal schneller). Allerdings sah ich Papa nirgends. Ok, neue Stadt, andere Strecke und natürlich auch einige Brücken… Geduld Isy, Geduld. Die anderen Handbiker und Rollifahrer die schon im Ziel waren, hatten auch eindeutig dickere Arme und meistens zwei gesunde. Viele waren offensichtlich ehemalige Soldaten, manche mit fehlenden Gliedmaßen (überwiegend Beine). Ok, wenn die nach 2:20 Std ankamen, dauerte es noch. Da sich das Ziel im Central Park befand, ließ es sich da gut aushalten. Nach mehr als 3:30 Std kam Papa um die Ecke. Geschafft 🙂 Also mit Handbike zurück zum Hotel, schön durch die sonnige Großstadt und bei knapp 20 Grad – Anfang November! Da herrscht hier schon Eisschrank 2.0.

Es wurde mit anderen Maratonis zusammen beim Italiener zu Abend gegessen. Da Papa ja neben mir saß und ich hier mit 18 trinken durfte, erlaubte mir das Restaurant ein Bier zum Essen. Nie wieder war Budweiser so gut! Den letzten Tag passierte nicht mehr viel. Nach den ganzen Eindrücken und dem Rennen als solches stellten Papa und ich fest, dass 7 Tage inkl. An- und Abreise schon fast zu lange sind. Ich beschloss für mich direkt und noch in den USA, dass die USA mich persönlich wenig reizen. Die Amis sind super nett und deutlich offener, als wir Westfalen. Aber es gibt eine riesen Schere zwischen arm und reich (die man dierekt sehen konnte – zum Beispiel an dem Junkie im McDonalds). Zudem kann ich für mich sagen, dass außer größer, höher, weiter es irgendwie kaum Unterscheide gab. Eher ein bisschen wie Frankfurt 2.0 🙂 Es ist alles etwas teurer als hier, außer Kleidung. Da kann man echt Schwein haben. Gerad die Marken, die in den USA hergestellt werden, sind deutlich günstiger. Fazit ist – auf alle Fälle einmal angucken. Dann den nächsten Flieger aber gerne auch woanders hin buchen.


Nachdem wir zurück in Deutschland waren, habe ich 9 Monate lang ein Praktikum im Autohaus gemacht, damit mein Fachabi zum studieren ausreicht. Zum Ende hin hatte ich dann die Wahl, entweder dort eine Ausbildung zur Automobilkauffrau zu machen, oder bei der R+V Versicherung in Münster meine Ausbildung anzufangen. Ich ging zur R+V und bin inzwischen schon wieder seit knapp 7 Jahren dort. Also Ende gut, alles gut.
Ich kann euch aber verraten, dass ich am Ende des Tages jede schicke Stadt dem absoluten Nichts vorziehe. Warum erzähle ich euch beim Nächsten Mal. 🙂